Anna Brüggemann startet heute ihre Aktion #nobodysdoll um auch andere Frauenbilder auf roten Teppichen, in Magazinen und in Filmen vertreten zu sehen! Ihren Aufruf und alle aktuellen Infos gibt es auf https://www.facebook.com/Nobodysdoll/ zu lesen.
NOBODY’S DOLL.
Im Zuge der Metoo-Debatte wurden vermehrt die Rufe nach Gleichberechtigung laut. Ein Aspekt der Gleichberechtigung wird jedoch meines Erachtens seit Jahren stiefmütterlich behandelt. Der Druck, der auf Frauen lastet, noch immer viel zu dünn, makellos und alterslos zu sein. Wir Schauspielerinnen empfinden uns zwar als moderne, feministisch gesonnene Frauen, sobald es aber auf den roten Teppich geht, scheinen wir das vergessen zu müssen. Die Gleichberechtigung ist auf dem roten Teppich noch nicht angekommen. Im Gegenteil, das Frauen-, und auch Männerbild, das bei Festivaleröffnungen, Premieren und Preisverleihungen erwartet wird, kommt mir vor wie aus den fünfziger Jahren.
Die Frauen zwängen sich in enge Röcke, zeigen Dekolleté, balancieren auf sehr hohen, sehr dünnen Absätzen, und die Männer versuchen, möglichst markant und nonchalant ihre Bodies zu präsentieren.
Dabei haben es die Männer noch immer signifikant leichter. Wer einmal den Unterschied zwischen einem Abend im schützenden Sakko und Sneakern oder leichtem Kleidchen und High Heels am eigenen Leib erlebt hat, weiß, wovon ich spreche.
Wir Frauen tun nach wie vor Dinge, die unbequem für uns sind, unpraktisch, Dinge, von denen wir glauben, daß wir sie machen müssen, um dem unsichtbaren Dritten zu gefallen. Dieser unsichtbare Dritte ist nach wie vor ein Mann.
Wir überlassen noch immer die Definitionsmacht, was als attraktiv gilt, dem patriarchalisch geprägten Blick, der inzwischen natürlich geschlechterübergreifend vorhanden ist.
Dabei sind wir doch eigentlich schon alle weiter. Aber für uns und für alle, die sich Bilder von den roten Teppichen dieser Welt anschauen und daraus folgern, was als attraktiv gilt, sollte das auch endlich visuell ankommen.
Attraktiv ist nämlich, was eine Frau macht. Nicht was man mit ihr machen kann. Interessant sind die Wege, die wir gehen, und nicht eine zur Statue erstarrte Person, die man sich ins Regal stellen kann.
Wir sind Künstlerinnen und keine hübschen Puppen. Nobody’s doll.
Das hier ist kein Aufruf, in Sack und Asche zu gehen. Im Gegenteil. Ich mag Mode. Ich mag schöne Frauen. Ich mag schöne Männer. Ich mag, wenn ich selber schön bin. Dies hier ist ein Aufruf, die eigene Schönheit zum Leuchten zu bringen und sie nicht durch reale oder eingebildete Zwänge einzukerkern. Das geht aber nur, wenn wir das Spektrum öffnen. Fühlen wir uns zum Beispiel wirklich alle in High Heels wohl? Und muss eine Frau immer geschminkt sein? Gibt es wirklich nur eine Sorte Mann, den wir in Filmen sehen wollen?
Wenn eine Schauspielerin bei der Berlinale vor allem Filme gucken und interessante Gespräche führen will, und weder Zeit noch Lust hat, sich aufwendig um ihr Styling zu kümmern, dann sollte das genau so interessant und attraktiv sein, wie wenn sie auf drei Parties in drei Outfits steht. Vielleicht sogar interessanter.
Die Frauen, denen ich im Vorfeld von meinem Vorhaben erzählt habe, atmeten erleichtert auf und sagten: „Das wird auch längst Zeit.“ Bei Männern war die Reaktion unterschiedlich. Manche, wie mein Bruder Dietrich oder die Lass Brüder, verstanden natürlich sofort, worum es geht. Andere, ebenfalls Regisseure, verstanden das Bedürfnis nach einem eindeutigen Zeichen nicht: „Zieh’ dich doch einfach anders an.“
Natürlich, kein Problem. Dann bin ich eben die lustige Anna, die immer ein bisschen anders rumläuft. Dann ist das mein kleiner, persönlicher Tick.
Mir geht es aber um die tiefere Dimension des Ganzen. Mir geht es darum, was bei einer Frau (und auch bei einem Mann) als attraktiv gilt. Und das betrifft nicht nur mich, das betrifft meine Kolleginnen, Kollegen, das betrifft eine Ärztin in Amsterdam genau so, wie ein Teenagermädchen in Warschau. Das betrifft uns Frauen. Und damit auch die Männer.
Wir werden ab dieser Berlinale das Spektrum dessen, was man auf dem roten Teppich anziehen „darf“, öffnen. In jede Richtung. Wir werden übertreiben und untertreiben. Und wir freuen uns über alle, die mitmachen. Wir freuen uns über alle, die den Hashtag benutzen, den Button tragen, die für sich selber definieren, wie sie oder er attraktiv sein wollen. Wir werden Spaß haben. Und zwar ab jetzt für immer.
Holt euch die Definitionsmacht zurück. Wir sind viele, wir sind klug, wir haben keine Angst und wir sind #nobodysdoll.
P.s. Dieser Text wurde im November mit viel Verve und auch gehörig Wut geschrieben. Jetzt, bald drei Monate und viele Diskussionen später, scheint mir eine Sache noch wichtig zu sein. Das hier ist kein Unterfangen, um andere Frauen auszuschließen. Wir Frauen sollten uns die Hand reichen und nicht mit dem Finger aufeinander zeigen, das wurde und wird sowieso zu viel gemacht. Das hier ist die klare Ermutigung für alle, sich die Freiheit zu nehmen, die vor unserer Nase liegt. Das hier ist eine Bitte zum mehr. Zum anderen. Zur Eingemeindung. Aber es ist kein Fingerzeig auf andere.
Anna Brüggemann, Schauspielerin
Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin Medienboard Berlin-Brandenburg
Lavinia Wilson, Schauspielerin Franziska Weisz, Schauspielerin Amelie Kiefer, Schauspielerin Pheline Roggan, Schauspielerin Mala Emde, Schauspielerin Rosalie Thomass, Schauspielerin Sanam Afrashteh, Schauspielerin Alina Levshin, Schauspielerin Luise Heyer, Schauspielerin Anneke Kim Sarnau, Schauspielerin Sarah Bauerett, Schauspielerin Monika Anna Wojtyllo, Schauspielerin und Regisseurin Thelma Buabeng, Schauspielerin Anjorka Strechel, Schauspielerin Maryam Zareeh, Schauspielerin Neela Schmitz, Schauspielerin Tom Lass, Regisseur Dietrich Brüggemann, Regisseur Jakob Lass, Regisseur Jasmila Zbanic, Regisseurin Barbara Albert, Regisseurin Heike-Melba Fendel, Autorin, Künstler- und PR-Agentin Sven Taddicken, Regisseur Lasse Myhr, Schauspieler Esther Perbandt, Designerin Pola Beck, Regisseurin Isabell Šuba, Regisseurin Irene von Alberti, Regisseurin Angelina Maccarone, Regisseurin